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Das hebräische Lexem hæbæl, das in seiner Grundbedeutung Windhauch, Verwehen, Vergänglichkeit, im übertragenen Sinn dann auch Nichts, Leere, Nichtigkeit bedeutet, kommt in der Hebräischen Bibel insgesamt 73 mal vor, wovon 40 Belege auf das Koheletbuch entfallen, wo der Begriff als Leitwort fungiert.
Die Vulgata gibt das Wort konsistent als vanitas wieder, das von seiner lateinischen Grundbedeutung her mit dem hebräischen Äquivalent durchaus weitestgehend kongruent ist. Hieronymus gibt über diese Kongruenz in seinem Koheletkommentar auch deutliche Rechenschaft ab. Das aufgezeigte Bedeutungsspektrum von hæbæl / vanitas wird im Koheletbuch auch in seiner gesamten Breite ausgeschöpft, während alle anderen Vorkommen in der Grundbedeutung Verwehen / Vergänglichkeit verbleiben. In der Septuaginta wird der Begriff – ebenfalls durchgängig – als mataiótäs übersetzt, wodurch die hebräisch-lateinische Grundbedeutung in den Hintergrund tritt und das Spektrum Nichts, Leere, Nichtigkeit durch Sinnlosigkeit, Absurdität, Vergeblichkeit, Unnutzen angereichert wird.
In der abendländisch-christlichen Wirkungsgeschichte wurde dann dem lateinischen Begriff der vanitas auf diesem Hintergrund zunehmend die griechische „Färbung“ aufgedrückt. Dies führte im Falle der Rezeption des Koheletbuches zu einer eher pessimistisch ausgerichteten Auslegungstradition, im Falle der meisten anderen entsprechenden Bibelstellen zu einer regelrechten Bedeutungsverschiebung. Diese Entwicklung hatte aber nicht nur Auswirkungen auf die Rezeption der betreffenden Bibelperikopen, sondern ganz grundsätzlich auf die Rezeptionsgeschichte des Vanitas-Motivs in Kunst, Kultur, Literatur und Philosophie der europäischen Neuzeit und Moderne.
Leider tradieren auch rezente Übersetzungen und Revisionen der einschlägigen alttestamentlichen Texte sowohl aus dem Hebräischen als auch aus dem Lateinischen diese Bedeutungsverschiebung unreflektiert weiter.